Nutzt Berlin seine Chance?
Die Anzahl der Flughäfen macht Berlin meiner Meinung nach noch nicht zur Weltstadt. Viel wichtiger ist es, dass die
für Berlin bestehenden Chancen jetzt erkannt und genutzt werden.
Der geschichtlichen Bedeutung des Flughafen Tempelhof wird ein gut strukturiertes Museum mit interessant präsentierten
Exponaten aus der Luftfahrtgeschichte bestimmt gerechter als der weitere Betrieb eines „Nischenflughafens“, den die meisten
Berliner vermutlich nie betreten werden.
Und nicht zuletzt könnte ein Forschungszentrum für innovative Flugtechnik an diesem Ort, an dem schon so manche Pioniertat der Luftfahrt stattfand, den Wirtschaftsstandort Berlin nachhaltig stärken.
Ich denke, man sollte den Blick in die Zukunft wenden und nicht versuchen einen einstmals wegweisenden, aber für die
heutige Zeit nur noch eingeschränkt nutzbaren Flughafen aus falsch verstandenem Traditionsbewusstsein weiterhin in
Betrieb zu halten.
Nach der Schließung des Flughafen Tempelhof hat Berlin inmitten der Stadt ein über 350 ha großes Areal
in dem der freie Blick weder durch Bebauung noch durch Bewuchs verstellt wird. Dies ist ein für eine Groß- und
Innenstadt einmaliges Raumerlebnis.
Auch dies ist eine besondere Chance, die sich für Berlin gerade bietet. In der Tradition des von den Berlinern Ende
des neunzehnten Jahrhunderts als Ausflugsziel genutzten Tempelhofer Feldes kann hier nun ein einmaliger Park entstehen.
In einem kleinen Ausflug in das Jahr 2015 möchte ich meine Idee
eines „Central Park“ Tempelhofer Feld veranschaulichen. Es handelt sich hierbei um ein Szenario, das wesentliche
Aspekte meiner Arbeit von 1995 aufnimmt und diese bildhaft, anhand eines Rundgangs durch den virtuellen Park beschreibt.
Berlin, April 2008
Meinrad Jedelsky
J·M·J - Architekten
An einem sonnigen Sommertag spaziere ich über das Tempelhofer Feld, den neuen „Central Park“ Berlins. Obwohl ich mich inmitten einer Großstadt befinde, wird mein freier Blick weder durch Bebauung noch durch Bewuchs verstellt. Ich fühle mich wie auf einer grünen Insel und sehe am Horizont die mich umgebende Stadt als steinerne Küste.
Dieses für eine Groß- und Innenstadt einmalige Raumerlebnis - fast mit dem Charakter einer Heidelandschaft - ist zu einem Anziehungspunkt für viele Erholung suchende Berliner geworden. Sie kommen nicht nur aus den angrenzenden Quartieren, sondern fahren mit S- und U-Bahn aus ganz Berlin hierher, um mit Freunden ihre Freizeit zu verbringen.
Das alte Flugfeld mit Startbahnen und Rollwegen sowie das Flughafengebäude des Architekten Ernst Sagebiel wurden in die Parkgestaltung integriert. Dadurch ist der ursprüngliche Charakter dieses Ortes auch mit seiner neuen Nutzung weiterhin erfahrbar.
Wie eine imposante Skulpturengruppe im Park steht vor dem überdachten Flugsteig des Gebäudes eine Sammlung von Oldtimern der Lüfte, darunter die Junkers Ju-52, ein „Rosinenbomber“ Douglas DC-3 und eine Concorde. Sie laden dazu ein, das Luftfahrtmuseum im alten Flughafengebäude zu besuchen, in dem auch die Geschichte der Luftbrücke anschaulich dokumentiert wird.
Vor dem Flughafengebäude öffnet sich das alte Flugfeld mit einer Fläche von ca. 3,8 km². Hier findet jeder Parkbesucher seinen Platz. Ganz in der Tradition des Tempelhofer Feldes erholen sich hier die Berliner im Grünen.
Auf den beiden alten Startbahnen sehe ich Inlineskater und Skateboardfahrer ihre Fahrkünste erproben, Modellautos kurven wendig herum und Fußgänger wie Radfahrer nutzen die über zwei Kilometer langen Asphaltpisten als direkte Verbindung zwischen Tempelhof und Neukölln.
Über die ganze Wiese verteilt spielen Menschen Ball und Frisbee, lassen Drachen steigen, picknicken, grillen, lesen oder baden einfach nur in der Sonne. Besonders beliebt sind die Plätze bei den Pavillons am Rand des Rollfeldes. Dort befinden sich Cafes, Kioske, ein Liegestuhlverleih, sanitäre Anlagen und alles, was ein Parkbesucher sonst noch braucht.
In einem gut einstündigen Spaziergang umrunde ich das Zentrum des Parks auf dem ovalen Rollweg. Der Weg führt vorbei am Forschungszentrum für innovative Flugtechnik, der Freiluftbühne und der Schule für Hängegleiter. Diese Bauten akzentuieren die Scheitelpunkte des alten Flugfelds und vermitteln dem Parkbesucher dadurch den Reiz seiner perfekten ovalen Geometrie.
Das Forschungszentrum für innovative Flugtechnik liegt auf der Seite zum S-Bahnring. Mit Blick auf einen umweltverträglicheren Flugverkehr sucht man hier nach neuen Ansätzen zur Einsparung von Energie und Kosten.
Am südöstlichen Ende des Rollfeldes steht die Freiluftbühne für Theater- und Konzertveranstaltungen. Sie ist zweiseitig bespielbar. Beim Opernabend in der letzten Woche saßen die Zuschauer noch im Amphitheater auf der Außenseite des Ovals. Heute aber baut man schon die Boxentürme für das Stones-Konzert in der nächsten Woche auf, bei dem Zehntausende von Zuschauern die Wiese im Innern des Ovals in ein Meer begeisterter Menschen verwandeln werden. Doch zuvor wird heute Abend im Open-Air-Kino noch ein Filmklassiker gezeigt.
Die Schule für Hängegleiter befindet sich auf einem großen Hügel. Am Absprunghang üben Hängegleiter und Gleitschirmflieger den Start oder verfeinern ihre Technik bei den Landungen. Bei einer kleinen Gruppe von Zuschauern bleibe ich eine Weile stehen und beobachte, wie die „Nachfahren“ von Otto Lilienthal sanft durch die Lüfte gleiten. Für einen Moment spüre ich et-was von dem Flugpioniergeist, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch das Tempelhofer Feld erfasst hatte.
Inzwischen ist es Abend geworden. Ich spüre, wie die Luft auf der großen Freifläche langsam abkühlt. Eine Brise trägt angenehm kühle Luft in die angrenzenden Stadtteile hinein.
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